Das Wunder von Sankt Gallen
Mit der IMPACT 4530 hat die UNITED GRINDING Group die weltweit erste Additive Werkzeugmaschine „Made in Switzerland“ für den industriellen Einsatz entwickelt – und das ausgerechnet im kleinen Sankt Gallen. Wie konnte das gelingen?
BLITZBLANK STEHT DIE verkaufsfertige IMPACT 4530 in der Sankt Gallener IRPD-Entwicklungszentrale in einem Raum, der eigens für sie hergerichtet wurde. Es eilt ihr bereits ein legendärer Ruf voraus: die erste industrietaugliche Werkzeugmaschine der Additiven Fertigung der Welt. Hier werden keine Werkstücke geschliffen, mit dem Wort fertigen ist eher das Gegenteil gemeint. „Im Gegensatz zur klassischen Fertigungstechnologie, wo aus einem massiven Klotz durch Zerspanung Material abgetragen und entfernt wird“, erklärt Paul Kössl, Global Head of Business Development and Marketing der UNITED GRINDING Group, „wird hier additiv, Teil für Teil, Schicht für Schicht das Bauteil aus Metallpulver durch Laserstrahlschmelzen (LPBF-Prozess) aufgebaut.“
Das „Gesicht“ der IMPACT 4530 bildet ein fast menschengroßes, 54-Zoll-Touchscreen-Display in freundlich-intuitivem Design. Dieses Human Machine Interface überträgt die Livebilder des Mikroschweißprozesses einer im Bauraum installierten Kamera und kombiniert sie mit Bedienelementen und Informationen zum Prozessverlauf. Über UNITED GRINDING Digital Solutions™ werden die Daten in das Betriebssystem C.O.R.E. eingebunden. „Es war für uns ein wichtiges Ziel, die IMPACT 4530 auch im hoch automatisierten Anlagenverbund nutzungsfreundlich zu integrieren und eine effiziente Vernetzung mit anderen Werkzeugmaschinen zu ermöglichen“, sagt Kössl.
Der Tanz des Lasers
Die IMPACT 4530 besteht aus zwei unterschiedlichen, voneinander entkoppelten Maschineneinheiten. Der thermostabilisierte, vakuumfähige und auf einem Gussmaschinenständer aufgebaute Maschinenkern, der Bauraum, und die als Schweißkonstruktion ausgeführte Versorgungseinheit realisieren das Konzept von getrenntem Bedien- und Beladebereich. Zusammen mit dem integrierten automatischen Wechselsystem für die gasdichten Metallpulverbehälter und die Bauteile macht das die Maschine bedienbar, ohne mit dem Metallpulver in Kontakt zu kommen. Wenn die IMPACT 4530 ihre Arbeit verrichtet, zeigt sie auf dem Bildschirm einen Tanz der Laser, die wie vier gelbe Flammen auf einer Schicht von Metallpulver Kreise, Linien, Ecken und Kanten hinterlassen. Dieses Verfahren nennt sich selektives Laserschmelzen von Metallpulver im LPBF-Prozess (Laser Power Bed Fusion), das sie mit zwei oder vier industriellen Faserlasern mit einer Leistung von jeweils 1000 Watt beherrscht.
Ideen werden sofort Realität
Am Ende stehen auf der Platte Bauteile aus Metall, Schicht um Schicht zusammengeschweißt. Die Metallpulver werden in verschiedenen Qualitäten und in Stahl-, Aluminium-, Titan- und Nickelbasislegierungen sowie Sondermetallen angeboten – die richtige Auswahl und Mischung ist ausschlaggebend für die Qualität der Produkte. Einer der größten Vorteile des 3D-Drucks sei, dass sich neue, kreative Ideen schnell und zu geringen Kosten umsetzen lassen, sagt Michael Schneider, Leiter Additive Services & Customer Care bei IRPD. „Das führt zwangsläufig zu besseren Bauteilen und damit zu besseren Produkten.“
Schneider ist neben Pascal Brunner, Kai Gutknecht und Alex Frauchiger einer jener Fachleute, die seit 2016 die Entwicklung der IMPACT 4530 maßgeblich begleitet haben. Denn um das Entstehen von Werkstücken wie aus dem Nichts auszulösen, erzählt Schneider, brauche es nicht mehr als die CAD-3D-Daten des gewünschten Bauteils, aus welchen der Drucker die Schichtinformationen entnimmt. So wird der Fahrplan für die Ablenkung des Lasers durch ein Spiegelsystem erstellt, das die einzelnen Schichten punktweise aufschmilzt und so das Bauteil erzeugt.
„Im 3D-Druck-Verfahren können Bauteile entstehen, die durch klassische Bearbeitung gar nicht möglich wären“, sagt Alex Frauchiger, zuständig für Prozess- und Materialentwicklung, und spricht damit den vielleicht wichtigsten Grundsatz beim Einsatz der Additiven Fertigung aus. Es geht nicht darum, den klassischen Prozess nachzubilden, sondern die Bauteile selbst zu überdenken und damit den Mehrwert der Additiven Fertigung zu realisieren. „Es beginnt immer mit der Analyse, wo die Additive Fertigung tatsächlich einen Mehrwert bringt“, erklärt er. Dies können eine schnellere Fertigung sein, neue Funktionen oder eine Zusammenfassung von Features.
3D-Druck gegen Lieferkettenprobleme
Die Schnelligkeit sei ein wichtiger Punkt, stimmt Pascal Brunner zu, zuständig für Produktentwicklung und IMPACT-Mechanik. „Es müssen keine Werkzeuge gewechselt, keine neuen Rohteile eingespannt oder die Maschine für jeden Job eingestellt werden“, sagt er. Es genügt die Datei der CAD-3D-Software, in der alle relevanten Prozessdaten enthalten sind. Durch den Wegfall des Einrichtungsaufwands lässt sich die IMPACT in wenigen Minuten hochfahren und ist maximal flexibel. Dank ihrer Vorteile eignet sie sich für die schnelle Herstellung einer Vielzahl komplexer Bauteile, von Stückzahl eins bis zur Serienfertigung – und dies bei Ersatzteilen, aber auch für die Standardproduktion und für Neuentwicklungen.
„Mit einer maßgeschneiderten Bauteiltopologie lassen sich diverse Prozesse und Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen des Maschinenbaus optimieren“, erklärt Materialexperte Frauchiger, „denn die Funktionalität von Werkzeugen und Bauteilen entscheidet sich oft an ihrer Oberfläche.“ Die Additive Fertigung kann so Eigenschaften wie Korrosions- und Verschleißschutz, Gleitund Schmierstoffverhalten gezielt manipulieren und an die Kundenanforderungen anpassen. Dabei sind die potenziellen Kundinnen und Kunden so vielfältig wie die Fähigkeiten der IMPACT: der klassische JobShop, Automobilzulieferer oder die Luft- und Raumfahrtindustrie.
Innovative Atmosphäre
Derart viel Innovation ausgerechnet von diesem Team im kleinen Sankt Gallen – wie konnte das passieren? Zunächst einmal ist IRPD kein gewöhnliches Maschinenbauunternehmen. Bereits das modulare Gebäude aus viel Glas und Stahl in der Lerchenfeldstraße ist ungewöhnlich, ein als „Startfeld“ über die Region hinaus bekannter InnovationsHub und Mediensitz. Maschinen stehen hier wie polierte Ausstellungsstücke, hin und wieder taucht ein junger Ingenieur auf, zieht ein Plexiglasvisier übers Gesicht und macht sich an einer zu schaffen. Die Stimmung ist ansteckend gut, alle haben das Gefühl, an etwas Großem teilzuhaben. Die Ursprünge des Unternehmens liegen in den Neunzigerjahren im ambitionierten Hochschulprojekt „Institut Rapid Product Development“ der interkantonalen Ingenieurschule Sankt Gallen (ISG), der Fachhochschule und der ETH Zürich.
„Das Zusammenspiel zwischen Forschung und Entwicklung und gleichzeitig Dienstleistung so hautnah zu erleben, das ist einfach einmalig“, sagt Frauchiger. Stolz zeigt das Team die beiden Vorläufermodelle der IMPACT 4530, beide Maschinen werden noch heute täglich verwendet, entweder für die Weiterentwicklung der AMProzesse oder für die Fertigung von Bauteilen. Die neue 4530 ist damit die dritte Generation der Maschine, die nun den hohen Ansprüchen der Industrie gerecht wird.
Der Spirit von Sankt Gallen
Dieser universitäre StartupSpirit ist ein Faktor, warum eine der innovativsten Werkzeugmaschinen der Welt ausgerechnet hier in Sankt Gallen entwickelt werden konnte, wenige Kilometer von der prächtigen Barockkathedrale entfernt. Der andere Grund ist die Einbindung in eine international führende Unternehmensgruppe im Werkzeugmaschinenbau. Seit 2019 ist die UNITED GRINDING Group alleinige Anteilseignerin von IRPD, aber schon davor bestand eine langjährige Zusammenarbeit. „Wir können Synergien nutzen, und wenn wir Unterstützung suchen, dann finden wir sie, egal ob bei Know-how oder Kapazitäten“, berichtet Michael Schneider. So wird die IMPACT 4530 in Sankt Gallen entwickelt, aber vom Schwesterunternehmen STUDER im rund 200 Kilometer entfernten Thun gebaut. Auf der anderen Seite profitieren die Schwesterunternehmen von der Additiven Fertigung bei IRPD. So werden etwa die Düsen des neuen Kühlsystems SmartJet® im 3DDruckVerfahren hergestellt.
Auch bei Bedienungsfreundlichkeit, Vernetzung, intelligenter Datenverarbeitung und Automatisierung profitiert die Kundschaft von Synergien: „Die IMPACT 4530 kommt mit der Hard und Softwarearchitektur C.O.R.E. und ist damit mit allen anderen Marken der Gruppe kompatibel“, erklärt Kai Gutknecht, der für die SoftwareEntwicklung zuständig ist. „Die gute Zusammenarbeit hier im Team und mit UNITED GRINDING“, ergänzt er, „ist der Hauptgrund, warum es die IMPACT 4530 heute gibt.“ Nickende Köpfe, lachende Gesichter, gute Stimmung. „Am Ende profitieren die Kundinnen und Kunden, das ist für uns der größte Erfolg“, sagt Kössl und führt aus dem „Startfeld“ an der Lerchenstraße hinaus, wo die Berglandschaft Sankt Gallens wartet, jener Ort, an dem mit der IMPACT 4530 ein kleines Wunder passiert ist – aus Teamwork, Knowhow und der Überzeugung, mit dem richtigen Willen Außerordentliches zustande zu bekommen.
Text: Michael Hopp, Fotografie: Thomas Eugster